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Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und die
Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (FStN)
laden zu einem
Werkstattgespräch mit Prof. Michael Thad Allen (Atlanta/Georgia und New Haven/Connecticut):

Im Reich des Vergessens
Der Wiener Prozess gegen die Krematorienerbauer von Auschwitz

Ausgehend vom ersten der beiden völlig in Vergessenheit geratenen Wiener Auschwitz-Prozesse des Jahres 1972 verlangt der als Experte der Geschichte des Nationalsozialis- mus und des Holocaust ausgewiesene Technik-Historiker Prof. M. Th. Allen, der österreichischen Nachkriegsjustiz mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Prozess gegen die beiden Baumeister Walter
Dejaco und Fritz Ertl, Erbauer der Krematorien von Auschwitz, zeigt die Bemühungen der Staatsanwaltschaft Wien, zwei "Schreibtischtäter" aus dem Vernichtungslager Auschwitz- Birkenau vor Gericht zu stellen. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft erweist sich, so Allen, in historischer Perspektive als differenzierter und zutreffender als der damalige Stand der Zeitgeschichtsforschung.

Allerdings: Obwohl die österreichische Gesetzeslage jener Zeit eine Verurteilung der Täter eher wahrscheinlich machte als die deutsche, scheiterten die Bemühungen der Justiz, die Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Die Verhandlung gegen die Krematorienerbauer von Ausch- witz am Landesgericht Wien endete am 10. März 1972 mit einem Freispruch, weil die Geschworenen trotz zahlreicher Zeugenaussagen und belastender Dokumente nicht von der Schuld der Angeklagten zu überzeugen waren.
Die beiden österreichischen Auschwitz-Prozesse zeigen nach Meinung von Mike Thad Allen weniger die "Grenzen des Rechts" bei der Ahndung des Völkermords (von denen in der bundesdeutschen Debatte jener Jahre viel die Rede war) als die politischen Grenzen, an die der Versuch der Ahndung der Massenvernichtungsverbrechen des NS-Regimes angesichts der soziologischen bzw. psychologischen Verfasstheit der Nachkriegsgesellschaft (und zwar nicht nur der österreichi- schen) stieß.


Das Werkstattgespräch findet in deutscher Sprache statt.
Veranstaltungsort: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6-8/Stg. III, 1. Stock)
Beginn: Dienstag, 3. April 2007, 17.30 Uhr


Michael Thad Allen ist Professor an der School of History, Technology and Society am
Georgia Institute of Technology, Atlanta/GA, sowie Visiting Ass.Prof. & Research Fellow in International Studies and History an der Yale University, New Haven/CT.

Er ist Autor von The Business of Genocide: The SS, Slave Labor, and the Concentration Camps (University of North Carolina Press: Chapel Hill/NC 2002; 2005 als Taschenbuch nachgedruckt), ein Buch, das von der GSA mit dem "2002- 2003 DAAD Book Prize" des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und von der Southern Historical Association mit dem "Smith Prize for the best book in European History" ausgezeichnet wurde.
2001 hat er gemeinsam mit Gabrielle Hecht den Sammelband Technologies of Power: Essays in Honor of Thomas Parke Hughes and Agatha Chipley Hughes (The MIT Press: Cambridge/MA) herausgebracht.
Für die von der American Historical Association heraus- gegebene Zeitschrift
Central European History bereitet er gegenwärtig einen Aufsatz zum Thema "Realms of Oblivion: Public Memory and the Vienna Auschwitz Trial of 1972" vor.

Michael Thad Allen hat sich, mit teilweise kontroversiellen Stellungnahmen, an mehreren akademischen Debatten in den USA und Deutschland über die Einschätzung der Rolle von Wirtschafts- und Verwaltungs-Fachleuten sowie Technikern bei der Organisation und Durchführung des Massenmords an den europäischen Juden/Jüdinnen beteiligt. Im Internet zugänglich sind:

Seeing like a Drunken State: Political Religion, Slavery, and the Holocaust

(PDF-Download – 396KB)

Erschienen in: "From Chattel Bondage to State Servitude: Slavery in the 20th Century", hrsg. von David Blight in der Yale University Press, New Haven 2005

(Eine Auseinandersetzung mit der "Modernität" des national- sozialistischen Massenmords – auch vor dem Hintergrund anderer Genozid-Verbrechen im 20. Jahrhundert.)

Die Anfänge der Menschenvernichtung in Auschwitz, Oktober 1941

(PDF-Download – 169KB)

Diese Erwiderung auf Jan Erik Schulte erschien in:
Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte Jg. 51 (2003), Heft 4, S. 565– 573.

Stranger than Science Fiction: Edwin Black, IBM, and the Holocaust

(PDF-Download – 46KB)

Diese Kritik an Edwin Black's Bestseller "IBM and the Holo- caust: The Strategic Alliance Between Nazi Germany and America’s Most Powerful Corporation", die eine schrille Dissonanz zu den Lobeshymnen anderer RezensentInnen darstellte, erschien in:
Technology and Culture 43. Jg. (2002) S. 150–154.

The Devil in the Details: The Gas Chambers of Birkenau, October 1941
(PDF-Download – 56,9 MB)
Der Aufsatz zur Tätigkeit der Ingenieure in Auschwitz, der auch auf das Wiener Verfahren gegen die Krematorien- erbauer Dejaco und Ertl einging, wurde 2002 in den
Holocaust Genocide Studies (vol. 16/2, S. 189-216) publiziert.

Im oben erwähnten, von M. Th. Allen mitherausgegebenen, Band "Technologies of Power" erschien:
Modernity, the Holocaust, and Machines without History

(PDF-Download – 487KB)


M. Th. Allens erste (z.T. kollektivbiografische) Studien zur Rolle der "Vernichtungstechnokraten" waren:

The Banality of Evil Reconsidered: SS Mid-Level Managers of Extermination through Work

(PDF-Download – 4,4 MB)

erschienen in:
Central European History Jg. 30 (1997), S. 253–294
und
The Puzzle of Nazi Modernism: Modern Technology and Ideological Consensus in an SS Factory at Auschwitz

(PDF-Download – 2,4 MB)

erschienen in:
Technology and Culture 37. Jg. (1996), S. 527–571.


Weitere Informationen zur justiziellen Auseinandersetzung mit den NS-Massenvernichtungsverbrechen in Auschwitz auf dieser WebSite:

Die beiden Wiener Prozesse gegen die Baumeister Ertl und Dejaco und die Aufseher Wunsch und Graf (1972)
Vorerhebungen der Staatsanwaltschaft Wien in den sechziger Jahren
Frankfurter Auschwitzprozess (1963–1965)

Auschwitzprozesse des Volksgerichts Wien (1945–1955)

Informationen zu den Wiener Auschwitz-Prozessen in der Dauerausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes:
Die Prozesse gegen Walter Dejaco und Fritz Ertl bzw. Franz Wunsch und Otto Graf 18. Januar bis 10. März bzw. 25. April bis 27. Juni 1972

 



3. April 2007
17.30 Uhr
DÖW

Bericht über die Veranstaltung