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Dick de Mildt (Hrsg.): Staatsverbrechen vor Gericht. Festschrift für Christiaan Frederik Rüter zum 65. Geburtstag. Amsterdam 2003. 264 S.

Eine Rezension von Susanne Uslu-Pauer

Christiaan Frederik Rüter – Ordinarius für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Amsterdam (1972–2003), Mitglied des Kuratoriums der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (Wien) sowie stellvertretender Vorsitzender des internationalen Beirats der Stiftung Topographie des Terrors (Berlin) – feierte im November 2003 seinen 65. Geburtstag. In einem feierlichen Akt wurde dem Jubilar Ende 2003 die Festschrift Staatsverbrechen vor Gericht übergeben.
Neben der Würdigung und Ehrung der hervorragenden Leistungen des Amsterdamer Strafrechtsexperten C. F. Rüter beleuchten die einzelnen in sich konkludenten Beiträge einerseits politische und gesellschaftliche Hintergründe der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen anhand einzelner Tatkomplexe oder juristischer Fragen. Andererseits thematisieren sie auch die Entwicklung der europäischen Rechtskultur ausgehend von den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg bis hin zur Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofes (Abk.: IStGH<Anm. 1>, engl. International Criminal Court [ICC]).
Der Journalist und Redakteur Heiner Lichtenstein konstatiert, dass sich Prof. Dr. Rüter bleibende Verdienste um Recht und Geschichte erworben hat, vergleichbar wie sich Simon Wiesenthal mit der erfolgreichen Suche nach untergetauchten NS-Verbrechern um die Gerechtigkeit verdient gemacht hat (S. 137). Damit bezieht sich Liechtenstein auf die in Europa einzigartige von Rüter und seinen MitarbeiterInnen herausgegebene Reihe Justiz und NS-Verbrechen – Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen. <Anm. 2> . Der erste Band erschien vor 36 Jahren, zu einem Zeitpunkt, als die strafrechtliche Verfolgung von Massenvernichtungsverbrechen des NS-Regimes durch westdeutsche Gerichte ihren Höhepunkt erreicht hatte. Nach Auffassung von Laurenz Demps (Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin) ging und geht es Rüter in erster Linie darum, zumindest die Urteile gegen NS-Verbrecher in den historisch relevanten Prozessen zu sichern und zu veröffentlichen, Erfolge zu dokumentieren und die Nachwelt – sowohl die Wissenschaft als auch die Öffentlichkeit – an politischen (Fehl-)Entscheidungen partizipieren zu lassen. In wenigen Jahren wird die Sammlung mit mehr als 60 Bänden vollständig vorliegen. Damit hat Rüter seit der Veröffentlichung der Dokumentationsbände des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg (Blaue Reihe<Anm. 3>)
mehr als jeder andere zur Vervollständigung der Dokumentation der west- und ostdeutschen Urteile wegen NS-Tötungsdelikten beigetragen, ja sogar die Nürnberger Dokumentation inhaltlich bei weitem übertroffen. Heute gehört die Sammlung Justiz und NS-Verbrechen [Stand Dez. 2004: 32 Bände] bzw. DDR Justiz und NS-Verbrechen [bis jetzt 5 Bände] in einschlägigen Handbibliotheken zu den Standardwerken. Auch Klaus Marxen, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, der am Beispiel eines strafjuristischen Details (Bestrafung der versuchten Straftat) im deutschen Strafrecht der Frage nachgeht, welche Bedeutung Unrechtsvergangenheit und deren Verarbeitung für die Gegenwart hat (juristische Vergangenheitsbewältigung), kommt zu dem Ergebnis, dass Rüters beharrliche, auf Vollständigkeit dringende Informationssammlung sowie akribische Detailgenauigkeit und unnachgiebige Faktentreue bei der Materialaufbereitung und -präsentation alle wesentlichen juristischen Maximen erfüllen (S. 138).
Mit dem einzigen Beitrag aus Österreich, Der Export der »Rüter-Kategorien« – Eine Zwischenbilanz der Erfassung und Analyse der österreichischen Gerichtsverfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (S. 73–117), der einen Überblick über bisherige Forschungsergebnisse der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen durch österreichische Gerichte und deren gesetzlichen Grundlagen gibt, weisen die beiden AutorInnen Winfried R. Garscha und Claudia Kuretsidis-Haider (wissenschaftliche Leitung der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz in Wien) darauf hin, dass Rüters Kategorisierung der NS-Tötungsdelikte (Tatvorwurf/Tatkomplex, Tatland/Tatort/ Tatzeit, Dienststelle, Opfer, S. 97 f.) in einer den historischen und gerichtlichen Ausprägungen des jeweiligen Landes adaptierten Form auf andere Länder übertragbar ist. Garscha und Kuretsidis-Haider zeigen – aufbauend auf ersten Vereinbarungen in Warschau im April 1999 (S. 97) – einen praktikablen Weg für künftige internationale/europäische Zusammenarbeit bezüglich der standardisierten Erfassung von Nachkriegsprozessen durch die Übernahme und Erweiterung der Rüter-Kategorien. Diese Methodik hat sich in Österreich bereits bewährt.<Anm. 4> Besondere Aufmerksamkeit in diesem Beitrag verdient die Gegenüberstellung der Urteile vor dem Volksgericht Linz mit Urteilen aus vergleichbaren Regionen in Deutschland hinsichtlich Demographie und Sozialstruktur (z. B. Schwaben und Mittelfranken, S. 101–108).
Rüters Urteilssammlung ist zugleich Grundlage und Ausgangspunkt für historische, politische und sozio-kulturelle Forschungen. Der Historiker und Schriftsteller Jörg Friedrich aus Berlin behandelt zum Beispiel ausgehend vom Nürnberger Nachfolgeprozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht (30. Dezember 1947 – 29. Oktober 1948) die Thematik der Rechtsnatur der anglo-amerikanischen Bomberoffensive im Zweiten Weltkrieg (S. 61–72), indem er die im Jahre 1970 erschienene Schrift Nürnberg und Vietnam von Telford Taylor, amerikanischer Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen und später Professor für Internationales Recht an der Columbia Universität New York, einer kritischen Analyse unterzieht.
Henry Friedlander, Professor für Judaistik am Brooklyn College, City University of New York, zeigt in seinem Beitrag Across the Stunde Null: the Continuity of German Law (S. 48–60) anhand eines vergleichsweise unspektakulären Falles, dass es für die Justiz und Öffentlichkeit keine Stunde Null gegeben hat. Die Gerichte der frühen Nachkriegszeit verwendeten sogar das von der Gestapo gesammelte Beweismaterial.
Wie in der Nachkriegszeit mit Euthanasieverbrechen umgegangen wurde, behandelt Michael S. Bryant, Assistent für Kriminalrecht an der Universität Toledo (Ohio) in seinem Beitrag Justice and National Socialist Medicalized Killing: Postwar "Euthanasia" Trials and the Spirit of Nuremberg, 1945–53 (S. 9–23). Er weist darauf hin, dass im Wiesbadener Hadamar-Prozess<Anm. 5> vor dem amerikanischen Militärgericht im Oktober 1945 und in den frühen »Euthanasie«-Prozessen vor westdeutschen Gerichten in den Jahren 1946/47 – Bryant bezieht sich hier auf den Meseritz-Obrawalde-<Anm. 6>, den Eichberg-<Anm. 7> und den Hadamar-<Anm. 8> Prozess – die verantwortlichen Ärzte und das Krankenhauspersonal wegen ihr Beteiligung am »Euthanasie«-Massenmord zum Tod bzw. zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Die westdeutschen Gerichte versuchten in dieser frühen Phase, neben den historischen Voraussetzungen die Begleitumstände der »NS-Euthanasie« aufzuhellen und den Zusammenhang zwischen »Euthanasie« und Holocaust (Tötung durch Gas) in die Beurteilung mit einzubeziehen. Diese frühen Prozesse standen laut Bryant deutlich unter dem Einfluss der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, bei denen die Verantwortlichen für Massenmord und Genozid zur Rechenschaft gezogen wurden. Ab 1948 ändert sich diese Einstellung. Die Urteile in »Euthanasie«-Verfahren wurden milder<Anm. 9>. und die Gerichte ließen »Begründungen« der Angeklagten wie Pflichtgefühl oder Sabotageabsicht <Anm. 10> als Rechtfertigungsargumente zu. Für Bryant ist diese Entwicklung ein Zeichen dafür, dass das Vermächtnis von Nürnberg, je mehr Zeit zu den Kriegsverbrecherprozessen verging, in Gesellschaft und Justiz immer mehr an Bedeutung verlor. Der Kalte Krieg und der Wunsch der Amerikaner, ein Bollwerk gegen den Kommunismus in Westdeutschland zu errichten, hatten entscheidenden Einfluss auf den Ausgang dieser Verfahren. Das neue Feindbild Kommunismus hemmte die in den Jahren von 1945 bis 1947 noch vorhanden gewesene Abscheu gegen NS-Verbrechen. Bryant kommt zu dem Schluss, dass die Westmächte, respektive die Amerikaner, als Gegenpol zum Sowjetblock in Europa ein demokratisches Westdeutschland brauchten, das nicht seine eigenen BürgerInnen »verfolgte«. Darüber hinaus hatte die westdeutsche Gesellschaft das Bestreben, ihre nationale Souveränität wieder zu erlangen. Eine ähnliche Entwicklung – wenn auch unter anderen politischen Voraussetzungen – ist auch in Österreich feststellbar.
Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Beurteilung und Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen spielten die Richter. Der Professor für Rechtssoziologie an der Freien Universität zu Berlin, Hubert Rottleuthner, geht in seinem Beitrag Krähenjustiz (S. 158–172) der begründeten Vermutung nach, dass der Grund für die zurückhaltende Verfolgungs- und Bestrafungspraxis der west- und bundesdeutschen Justiz gegenüber dem NS-Justizunrecht darin zu suchen ist, dass die nach 1945/49 amtierenden Richter selbst in der NS-Justiz tätig waren und den Justizbetrieb im Nationalsozialismus aus der Nähe kennen gelernt hatten. Sie brachten ihren früheren Kollegen gegenüber ein hohes Maß an Verständnis auf. Nach dem Sprichwort »Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus« handelte es sich nach Rottleuthner um eine »Krähenjustiz«. Die Hackhemmung den NS-Juristen gegenüber basierte auf einem Einfühlungsvermögen (in die innere Tatseite), die wohl nur aufbringt, wer im selben Nest gesessen hat (S. 170). Den sechs Verurteilungen im Westen standen ca. 150 Verurteilungen im Osten gegenüber. Allerdings muss man diesen Vergleich dadurch einschränken, dass die meisten Verurteilungen in der DDR im Rahmen der so genannten Waldheim-Verfahren (Massenverfahren Anfang der 50er Jahre in Waldheim bei Chemnitz) erfolgten. Nach der »Wende« wurden gegen die beteiligten noch lebenden DDR-JuristInnen von der bundesdeutschen Justiz Prozesse wegen Rechtsbeugung angestrengt. Diese Rechtsbeugungsverfahren wurden fast immer von Richtern aus der ehemaligen Bundesrepublik durchgeführt. Rottleuthner kommt zu dem Schluss, dass die oben erwähnte Milde bei NS-Richtern gegenüber den DDR-KollegInnen nicht zu finden ist.<Anm. 11>
Einen gänzlich anderen Einblick in die Gerichtsakten gewährt der Historiker am Lehrstuhl für Strafrecht der Universität Amsterdam und Herausgeber der Festschrift Dick de Mildt in seinem Beitrag Memory on Trial: Eyewitness testimony assessment in West German "Nazi trials" (S. 146–157). Er hinterfragt die Zuverlässigkeit von AugenzeugInnenberichten vor Gericht. Lückenhafte Erinnerung, Gedächtnisverlust, nicht mehr genau rekonstruierbare Zeitabläufe oder zögerliche Antworten der ZeugInnen (respektive der Opfer) wurden – je später die Prozesse stattfanden – als Beweismittel vor Gericht mit großer Skepsis behandelt (S. 147). Viele ehemalige Nationalsozialisten und Mittäter, die den Angeklagten nahe standen, fühlten sich durch einen Kodex der Kameradschaft, Loyalität und Ehre noch immer bemüßigt, günstig für den vor Gericht Stehenden auszusagen. Einige hatten auch Angst, erkannt zu werden und versteckten sich hinter Halbwahrheiten. Derartige Szenarien stellten die Gerichte vor enorme Probleme.
Zuletzt sind noch zwei Beiträge zur Neueren Straf- und Rechtsgeschichte bzw. deren Entwicklung zu erwähnen. Hans-Heinrich Jescheck (emeritierter Professor der Rechte an der Universität Freiburg im Breisgau) stellt die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs mit dem Inkrafttreten des Rom-Statuts am 1. Juli 2002 als eines der großen Ereignisse in der neueren Strafrechts- und Völkerrechtsgeschichte dar (S. 118–130). Durch die Rechtsprechung des IStGH soll den vielfach schweren Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte, die bisher zum Teil durch Straflosigkeit brillierten, ein Ende gemacht und für die Zukunft als strafwürdiges Unrecht gekennzeichnet werden. Jescheck skizziert die Entstehungsgeschichte des IStGH (Bezug zu Internationalem Militärgerichtshof in Nürnberg und Tokio) sowie seine juristische Struktur bis in die Gegenwart. Einen Schritt zurück in die Straf- und Rechtsgeschichte geht Hermann von der Dunk (emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Utrecht) in seinem Beitrag Kriegsverbrechen und internationaler Areopag (S. 27–47). Er verweist auf die über Jahrhunderte sich formierende Idee einer internationalen Rechtsordnung, deren Vorgeschichte je nach angewendeten Kriterien bis zum 1. Weltkrieg, den Haager Friedenskonferenzen von 1907 (Haager Landkriegsordnung.<Anm. 12>) bzw. 1899 (basierend auf der Genfer Konvention von 1864<Anm. 13>) oder noch weiter zurück verlegt werden kann. Durch die hohe Anzahl an Todesopfern im Ersten Weltkrieg verdichtete sich diese Idee und fand in Form des Völkerbundes ihren ersten Höhepunkt. Mit der Einsetzung des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg begann – trotz Einwände und Bedenken juridischer wie moralischer Art – eine neue Phase in der Geschichte des internationalen Strafrechts zur Verwirklichung des Areopag. Ausschlaggebend dafür war, dass sich während des Zweiten Weltkrieges die Kriegsführung weiter brutalisiert hatte. Vor allem die Gräueltaten in den Lagern, die Massenmorde wehrloser Gruppen und die Ausdehnung des Krieges auf die Zivilbevölkerung sprengten den konventionellen Begriff Kriegsverbrechen. Nach Auffassung von der Dunks lag die Bedeutung der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg nicht nur in der Aburteilung der NS-Verbrechen selbst, sondern auch in dem Versuch, die Welt zu einer friedlichen Einheit mit allgemein gültigen Strafrechtsnormen (Menschen- und Völkerrecht) zusammenzufügen. Gerade in den letzen Jahren hat sich die Kampfart ein weiteres Mal geändert, wobei vor allem durch den Terrorismus, der den konventionellen Krieg zwischen Staaten umgeht, neue Fragen gestellt werden. Von der Dunk merkt kritisch an:
»Nichts wäre fataler und tragischer für die Zukunft dieser Entwicklung, als wenn die einzige heutige Weltmacht, die der große Befürworter und Geburtshelfer einer internationalen Rechtsordnung gewesen ist, sich im selbstherrlichen Gefühl ihrer heutigen Allmacht darüber erhaben dünkt und der Welt ihren Begriff von Universalismus aufzwingen will unter dem Motto ‚Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt‘. Eine Dialektik die katastrophal, doch darum noch keineswegs undenkbar wäre in der Geschichte.« (S. 46).

Mag. Susanne Uslu-Pauer ist Mitarbeiterin der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und Sachbearbeiterin im Team Linz/Wien des FWF-Projekts »Justiz und NS-Gewaltverbrechen in Österreich. Regionale Besonderheiten und Vergleich mit Deutschland«.


Anmerkungen

<Anm. 1>
Der IStGH – eine unabhängige internationale Organisation, deren Beziehungen über ein Kooperationsabkommen mit den UN geregelt sind – ist ein ständiges Gericht mit Gerichtsbarkeit über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression (bis jetzt noch nicht genau definiert). Der Sitz des Gerichtshofs ist Den Haag.

<Anm. 2>
C. F. Rüter ist wissenschaftlicher Leiter des seit 1967 am Seminarium voor Strafrecht en Strafrechtspleging »Van Hamel« der Universität Amsterdam laufenden Forschungsprojekts.

<Anm. 3>
1947/1948 erschienen die Verhandlungsprotokolle des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg (22 von insgesamt 42 Bänden). Der erste Band enthält unter anderem Vorprozessdokumente, Anklageschrift und Urteil des Gerichtshofes. In den folgenden Bänden wurden die Sitzungsprotokolle in vollem Umfang veröffentlicht. 1949 erschien ein ausführlicher Index zu den Verhandlungsniederschriften (23./24. Band der Reihe). Die Bände 25 bis 42 enthalten Beweisurkunden. Siehe Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (Hrsg.): Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946.

<Anm. 4>
Die deutlichsten Änderungen wurden bei den Opferkategorien vorgenommen und waren in erster Linie terminologischer Art. Dies ist Ausdruck des sozialwissenschaftlichen Diskurses in Deutschland und Österreich in den vier Jahrzehnten seit der Konzeption der Kategorien (S. 99 f.).

<Anm. 5>
Das Hadamar-Verfahren war der einzige vor dem amerikanischen Militärgericht durchgeführte »Euthanasie«-Prozess. Sieben Ärzte und Angestellte der Euthanasieanstalt Hadamar wurden wegen ihrer Rolle bei der Ermordung polnischer und russischer Arbeiter zum Tode oder zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die drei Todesurteile wurden vollstreckt.

<Anm. 6>
Der erste deutsche »Euthanasie«-Prozess vor dem Landgericht Berlin wurde im März 1946 gegen die Ärztin Hilde Wernicke und die Krankenschwester Helene Wieczorek wegen Ermordung von »Geisteskranken« in der Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde geführt. Sie wurden am 25. März 1946 zum Tode verurteilt. Siehe Verfahren der laufenden Nummer 003 nach Rüter, C. F. / D. W. de Mildt (Hrsg.): Die westdeutschen Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945 – 1997. Eine systematische Verfahrensbeschreibung mit Karten und Registern. Amsterdam-Maarssen-München 1998.

<Anm. 7>
Im Dezember 1946 verurteilte das Landgericht Frankfurt die Ärzte Friedrich Mennecke und Walter Schmidt u. a. wegen der Tötung von »Geisteskranken« durch Giftinjektionen in der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg zum Tode. Die Todesstrafe wurde jedoch nicht vollzogen. Zwei Angehörige des Krankenhauspersonals erhielten Strafen von mehreren Jahren, zwei weitere wurden freigesprochen. Siehe Verfahren der laufenden Nummer 011 in ebd.

<Anm. 8>
Nahezu zwei Jahre nach dem Hadamar-Prozess vor dem amerikanischen Militärgericht hielt das Landgericht Frankfurt am Main 1947 eigene »Euthanasie«-Prozesse gegen Ärzte, Pflegepersonal, Verwaltungspersonal sowie das Technische Personal der Euthanasieanstalt Hadamar wegen Tötung von tausenden »Geisteskranken« mit Giftgas und tödlichen Injektionen ab. Die beiden Ärzte Adolf Wahlmann (er wurde bereits vom amerikanischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt) und Hans Bodo Gorgass wurden zum Tod verurteilt. Diese Strafen wurden in lebenslange Haft umgewandelt. Die übrigen Angeklagten wurden zu höheren Haftstrafen verurteilt bzw. freigesprochen. Siehe Verfahren der laufenden Nummer 017 in ebd.

<Anm. 9>
Die ersten Freisprüche gegen Ärzte in einem »Euthanasie«-Prozess – gegen den Arzt Karl Todt und seinen Assistenten Adolf Thiel in der Heil- und Pflegeanstalt Scheuern wegen Mitwirkung am »Euthanasieprogramm« – erfolgten 1948 vor dem Koblenzer Landgericht. Siehe Verfahren der laufenden Nummer 088 in ebd.

<Anm. 10>
1953 akzeptierte das Landgericht Köln im Prozess gegen den Arzt Dr. Alfred Leu (er war in der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg nahe Schwerin tätig) das Rechtfertigungsargument der »Sabotage« (er tötete, um den Schaden zu minimieren und um andere zu retten). Siehe Verfahren der laufenden Nummer 383 in ebd.

<Anm. 11>
Weitere Beiträge zum Thema DDR-Justiz: Günther Wieland (ehemaliger DDR-Staatsanwalt), Rechtshilfe der DDR zur Förderung auswärtiger NS-Ermittlungen, S. 192-208; Ursula Solf (Staatsanwältin a. D. beim LG Frankfurt/Main), Die Ermittlungstätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit in NS-Verfahren, S. 173-191. Solfs Ausführungen beruhen auf der Auswertung der vom Ministerium für Staatssicherheit durchgeführten NS-Verfahren, um nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« weiteres Beweismaterial für die im Westen noch nicht abgeschlossenen NS-Verfahren zu finden.

<Anm. 12>
Der völkerrechtliche Straftatbestand »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« taucht zum ersten Mal in der Präambel der Zweiten Haager Landkriegsordnung von 1907 auf und wurde 1946 erstmals zur Verfolgung der NS-Verbrechen bei den Nürnberger und Tokioter Prozessen juristisch definiert und benutzt. Siehe Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 in der Fassung vom 25. Januar 1910, für das Deutsche Reich am 26. Januar 1910 in Kraft getreten.

<Anm. 13>
Am 22. August 1864 wurde die Erste Genfer Konvention verabschiedet. Ergänzungen und Modifikationen gab es schon in den Jahren 1899 und 1907 durch die Haager Landkriegsordnung.

 




Erschien in: »Justiz & Erinnerung« Nr. 9 (Dez. 2004)
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