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Anmerkungen zur Arbeit mit gerichtlichen Strafakten
in der zeitgeschichtlichen Forschung (Teil 4)

Die Ausführungen in dieser Artikelserie berücksichtigen im Allgemeinen nur die Prozessrechtslage, wie sie von 1945 bis 1970 in Österreich bestanden hat. Im Hinblick auf die in den beiden Vereinen bestehenden Forschungsinteressen wird das Verfahren in Strafsachen, die in die Zuständigkeit der Volksgerichte und der Geschwornengerichte fielen, dargestellt.
Im Teil 3 dieser Beitragsreihe wurde begonnen, das Erkenntnisverfahren mit seinen einzelnen Verfahrensteilen Vorverfahren, (Zwischenverfahren), Hauptverhandlung und Rechtsmittelverfahren darzustellen. In diesem Teil soll nun nach kurzer Erwähnung des
Zwischenverfahrens der Gang der Hauptverhandlung beschrieben und erörtert werden.

Das Zwischenverfahren
Als Zwischenverfahren wird jener Verfahrensteil bezeichnet, der zwischen Rechtskraft der Anklage und Beginn der HV liegt.[1] Es dient der Vorbereitung der HV durch den Vorsitzenden / die Vorsitzende:
Zur Vorbereitung der HV gehört zunächst die
Prüfung, ob der Fall tatsächlich „verhandlungsreif" ist. Hält der / die Vorsitzende von sich aus oder im Hinblick auf einen Antrag der Parteien noch weitere Ermittlungen für notwendig, so lässt er diese vom UR oder durch Sicherheitsorgane vornehmen. (Vervollständigung der VU - § 224(1) StPO)[2]
Anordnung („Ausschreibung") der Hauptverhandlung: Der / die Vorsitzende setzt den Termin der HV unter Wahrung der dem / der Angeklagten vom Gesetz eingeräumten Vorbereitungsfristen[3] fest. Der / die noch nicht durch einen Verteidiger / eine Verteidigerin vertretene Angeklagte wird in den Fällen notwendiger Verteidigung aufgefordert, einen Verteidiger / eine Verteidigerin zu wählen oder die Beigebung eines „Armenvertreters" / einer „Armenvertreterin" zu beantragen, widrigenfalls ihm / ihr von Amts wegen ein Verteidiger / eine Verteidigerin bestellt würde. Zur HV vorgeladen werden der / die Angeklagte, der Verteidiger / die Verteidigerin, die ZeugInnen und Sachverständigen[4] und natürlich die erforderlichen LaienrichterInnen. Vom HV-Termin verständigt werden beisitzende BerufsrichterInnen und der öffentliche Ankläger / die öffentliche Anklägerin. Im Gerichtsalltag wird die „Ausschreibungsfrist", d.i. der Zeitraum zwischen Ausschreibung der HV und Beginn der HV, so bemessen, dass die Zustellnachweise (Rückscheine) für alle Ladungen an das Gericht zurück gelangen können[5] und dass auf „Fehlberichte" noch reagiert werden kann. In den ersten Nachkriegsjahren wurde auch vermehrt auf die schwierigen Verkehrsverhältnisse (Anreisezeit) Rücksicht genommen.
Bei
Rücktritt des öffentlichen Anklägers / der öffentlichen Anklägerin von der Anklage v o r der HV stellt der / die Vorsitzende das Verfahren mit Beschluss ein und widerruft die Anordnung der HV (§ 227 Abs.1 StPO).

Die Hauptverhandlung - Verfahrenszweck und Regelung des Verfahrensganges
Die Hauptverhandlung stellt jenen Teil des gerichtlichen Strafverfahrens dar, in welchem darüber entschieden werden soll, ob der / die Angeklagte der ihm / ihr in der Anklageschrift angelasteten Tat schuldig ist oder nicht. Die Entscheidung hierüber ergeht durch Urteil. Die Leitung der Verhandlung, die Obsorge für eine vollständige Sammlung und Erörterung des Prozessstoffes und schließlich (von kaum vorkommenden Ausnahmen abgesehen) auch die Ausfertigung des Urteils, obliegt dem / der Vorsitzenden.[6]
Der Verfahrensgang vor den Gerichtshöfen erster Instanz ist zusammenhängend für das Verfahren vor dem Schöffensenat[7] im XVIII. Hauptstück der StPO und zwar in den §§ 228 bis 279 geregelt. Sowohl für die HV vor dem Geschwornengericht als auch vor dem Volksgericht und selbstverständlich für die HV vor dem Schwurgericht gelten ebenfalls g r u n d s ä t z l i c h diese Bestimmungen, soweit nicht im Hinblick auf die Besonderheiten dieser Verfahrensarten vom Gesetz abweichende Regelungen[8] getroffen wurden. Es werden daher im Folgenden zunächst die für alle vier Verfahrensarten gemeinsam geltenden Bestimmungen über die HV dargestellt werden.[9] Erst daran anschließend sollen die Sonderbestimmungen betreffend das Verfahren vor dem Volksgericht, vor dem Schwurgericht und vor dem Geschwornengericht erörtert werden.

Die Führung des Protokolls über die HV.
Zur Führung des - bei sonstiger Nichtigkeit - über die ganze HV aufzunehmenden Protokolls ist der / die SchriftführerIn zuständig. Das Protokoll wird von ihm / ihr und vom Vorsitzenden / von der Vorsitzenden unterzeichnet.
Für die
Form der Protokollführung bestehen keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften. Allerdings haben sich im Gerichtsgebrauch Übungen herausgebildet, die praktisch durchgehend eingehalten werden. Hingegen ist der Inhalt des HV-Protokolls im § 271 StPO vorgegeben: „Es soll die Namen der anwesenden Mitglieder des Gerichtshofes, der Parteien und ihrer Vertreter enthalten, alle wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens beurkunden, insbesondere anführen, welche Zeugen und Sachverständigen vernommen und welche Aktenstücke verlesen wurden, ob die Zeugen und Sachverständigen beeidigt wurden oder aus welchen Gründen die Beeidigung unterblieb, endlich alle Anträge der Parteien und die vom Vorsitzenden oder vom Gerichte darüber getroffenen Entscheidungen vermerken." (§ 271, Abs.1 zweiter Satz StPO). Aussagen von ZeugInnen oder Sachverständigen werden nur dann in ihrem vollen Inhalt wiedergegeben, wenn diese Personen in der HV das erste Mal vernommen werden. Ansonsten wird der Inhalt der Aussagen nur insoweit festgehalten, als „sie Abweichungen, Veränderungen oder Zusätze der in den Akten niedergelegten Angaben enthalten". Regelmäßig wird auch im Protokoll vermerkt, auf wessen Frage eine bestimmte Aussage von ZeugInnen zustande kamen und gelegentlich auch diese Frage selbst protokolliert.
Da das Protokoll vom Schriftführer / von der Schriftführerin ja selbstständig und nicht nach Diktat des / der Vorsitzenden aufgenommen wird, der Inhalt daher nicht begleitend, sondern erst nach Abschluss des Protokolls von den Parteien kontrolliert werden kann, wurde die gesetzliche Möglichkeit geschaffen (§ 271, Abs.2 StPO), dass die Parteien die sofortige Verlesung des Protokolltextes, „wo es auf Feststellung der wörtlichen Fassung ankommt", verlangen können.
Sind Parteien der Meinung, dass ein Vorgang unrichtig protokolliert wurde, können sie die
Berichtigung des Protokolls beantragen. Über den Berichtigungsantrag entscheidet der / die Vorsitzende.

Beginn der HV, Anklageverlesung und Vernehmung des / der Angeklagten
„Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Strafsache durch den Schriftführer" (§ 239 StPO).
Die StPO geht davon aus, dass der / die Angeklagte bei der HV grundsätzlich anwesend sein muss und Gelegenheit haben muss, sich zu allen aufgenommenen Beweisen zu äußern. Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen, werden aber - abgesehen von der zeitweiligen Entfernung des / der Angeklagten im Interesse der Wahrheitsfindung - nur selten angewendet.[10]
Eingangs wird der / die Angeklagte vom Vorsitzenden / von der Vorsitzenden zu seinen / ihren „Generalien", das ist zu Vor- und Zunamen, Alter (in der Praxis zum Geburtsdatum), Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Religion, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung und Wohnort (Adresse) befragt (§ 240 StPO, erster Halbsatz) und ermahnt, der Verlesung der Anklage und dem Verfahrensgang aufmerksam zu folgen (§ 240 StPO, zweiter Halbsatz).
Es folgt - bei sonstiger Nichtigkeit des Verfahrens - die
Beeidigung der SchöffInnen bzw. Geschwornen, die in demselben Jahr noch nicht beeidigt worden sind (§ 240a Abs.1 und 2 StPO). Die Beeidigung gilt für das ganze Kalenderjahr, in welchem sie erfolgt ist. Sie wird im HV-Protokoll bekundet und überdies in einem besonderen Buch festgehalten (§ 240 Abs.3 StPO).
Anschließend[11] wird - bei sonstiger Nichtigkeit - die Anklageschrift sowie ein allenfalls vorhandenes Erkenntnis über einen Anklageeinspruch, nach welchem ein Anklagepunkt zu entfallen hat, verlesen (§ 244 StPO).[12]
„Hierauf wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über den Inhalt der Anklage vernommen. Beantwortet der Angeklagte den Inhalt der Anklage mit der Erklärung, er sei nicht schuldig, so hat ihm der Vorsitzende zu eröffnen, dass er berechtigt sei, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes[13] entgegenzustellen und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels seine Bemerkung darüber vorzubringen. Weicht der Angeklagte von seinen früheren Aussagen ab, so ist er um die Gründe dieser Abweichung zu befragen.[14] Der Vorsitzende kann in diesem Falle sowie dann, wenn der Angeklagte eine Antwort verweigert, das über die früheren Aussagen aufgenommene Protokoll ganz oder teilweise verlesen lassen.
Der Angeklagte kann zur Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen nicht verhalten werden.[15] Es ist dem Angeklagten unbenommen, sich auch während der Hauptverhandlung mit seinem Verteidiger zu besprechen; es ist ihm jedoch nicht gestattet, sich mit dem Verteidiger unmittelbar über die Beantwortung der einzelnen an ihn gestellten Fragen zu beraten." ( § 245 Abs. 1 bis 3 StPO)
Für die Vernehmung des / der Angeklagten in der HV gelten die für die Vernehmung im Vorverfahren aufgestellten Grundsätze: „Es dürfen weder Versprechungen oder Vorspiegelungen noch Drohungen oder Zwangsmittel angewendet werden, um [den Angeklagten / die Angeklagte] zu Geständnissen oder anderen bestimmten Angaben zu bewegen..." (§ 202 StPO)
Die Fragestellung an den Angeklagten / die Angeklagte muss leicht verständlich sein und eine klare, eindeutige Beantwortung ermöglichen. Mehrdeutige und verfängliche Fragen sind verboten. Die Fragen müssen „eine aus der anderen nach der natürlichen Ordnung fließen. Es ist daher insbesondere die Stellung solcher Fragen zu vermeiden [Fangfragen], in denen eine vom [Angeklagten] nicht zugestandene Tatsache als bereits zugestanden angenommen wird (§ 200, Abs.1 StPO). Suggestivfragen (die sich in der Praxis zur Erzielung einer verständlichen und effektiven Fragestellung kaum vermeiden lassen) sind erst dann gestattet, wenn eine nicht suggestive Fragestellung nicht zur Klärung des interessierenden Sachverhaltes geführt hat; solche Fragen sind im Protokoll w ö r t l i c h wiederzugeben. Es liegt im Wesen von Verstößen gegen diese Regeln, dass sie dem Protokoll nicht zu entnehmen sind.
Es herrscht Übereinstimmung darüber, dass
die Aussage des / der Angeklagten anlässlich seiner / ihrer Vernehmung am Beginn der HV und seine Äußerungen zu den einzelnen im Beweisverfahren vorgeführten Beweismitteln (§ 248 Abs. 4 StPO) zwar seiner Verteidigung dienen, aber auch Beweismittel sind. Auch das Schweigen des / der Angeklagten zu einzelnen Fragen unterliegt der Beweiswürdigung.

Das Beweisverfahren
Nach der Vernehmung des / der Angeklagten zur Anklage wird das „Beweisverfahren" durchgeführt, d. h. es werden die zur Klärung des Sachverhaltes, welcher der Anklage zu Grunde gelegt wurde, notwendigen Beweise aufgenommen. Die Reihenfolge der Beweisaufnahme bestimmt der / die Vorsitzende. Zwar sollen in der Regel die vom Ankläger / von der Anklägerin geführten Beweismittel zuerst aufgenommen werden, doch wird diese Reihenfolge aus praktisch-prozessökonomischen Gründen[16] und/oder zur übersichtlicheren Gestaltung des Prozessstoffes[17] nicht selten abgeändert.
Die Beweisaufnahmen erfolgen über darauf abzielende
Beweisanträge der Parteien oder auch von Amts wegen über Beschluss des / der Vorsitzenden oder des Senates. Beweisanträge müssen das Beweisthema (welche Umstände sollen geklärt werden?) und die Beweismittel, z. B. Vernehmung bestimmter Personen als ZeugInnen oder Sachverständige, Besichtigung von bestimmten Gegenständen oder Orten, Einsichtnahme in Urkunden und überhaupt „alles was die Wahrheit zu ergründen geeignet ist" (EvBl. 1960, Nr.33), anführen. Eine Ablehnung gestellter Beweisanträge erfolgt durch den Senat mit Beschluss, der sofort samt Begründung zu verkünden und im HV-Protokoll zu bekunden ist.
Alle Vernehmungen führt zunächst der/die Vorsitzende durch, doch haben hernach die beisitzenden RichterInnen (BerufsrichterInnen und SchöffInnen gleichermaßen!), die Geschwornen, allenfalls die Sachverständigen und dann die Parteien das Fragerecht. Das Wort hiezu erteilt der / die Vorsitzende, der / die darüber wacht (oder wachen sollte), dass nicht unzulässige (z. B. mehrdeutige Fragen, Fangfragen) oder unangemessene Fragen (Unangemessenheit kann sich sowohl aus dem Thema als auch aus der Art der Fragestellung ergeben!) gestellt werden (§ 249 StPO).

Das Beweisverfahren ist vom Grundsatz der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit bestimmt:

Von einigen in der StPO genau geregelten Ausnahmen abgesehen, dürfen nur jene Beweise, die in der HV unmittelbar vor dem erkennenden Gericht aufgenommen wurden und nur mündlich vorgetragene Anträge, Äußerungen, Aussagen als Prozessstoff bei Fällung des Urteils Verwendung finden (siehe hiezu die Ausführungen in „Justiz und Erinnerung" Nr. 3, Seite 13).
Die Verlesung von Protokollen über Vernehmungen von ZeugInnen und von Sachverständigengutachten in der HV ist gemäß § 252 Abs.1, Ziffer 1 bis 4 StPO nur dann zulässig,
„1.wenn die Vernommenen [deren frühere Aussage verlesen werden soll] in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht bewerkstelligt werden konnte;
2. wenn die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früher abgelegten Aussagen abweichen;
3. wenn Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein ... die Aussage verweigern; endlich
4. wenn über die Verlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind."

Zwingend vorgeschrieben ist hingegen die Verlesung von Niederschriften über Augenscheins- und Befundaufnahmen, von gegen den Angeklagten / die Angeklagte früher ergangenen Straferkenntnissen sowie von Urkunden und Schriftstücken anderer Art, die für die Sache von Bedeutung sind, es sei denn, dass beide Parteien auf solche Verlesungen verzichten.(§ 252, Abs. 2 StPO) Die Tatsache der Verlesung(en) ist im Protokoll festzuhalten.
Der
Umfang der Beweisaufnahme wird sich am Prinzip der materiellen Wahrheit (siehe Teil 1, Verfahrensgrundsätze, Punkt 4) auszurichten haben. Dies bedeutet, dass das Gericht bei der Erforschung der Wahrheit nicht durch das Parteienvorbringen und schon gar nicht durch den Inhalt der Beweisanträge beschränkt ist, sondern von sich aus, unter Einsatz aller rechtlich erlaubten Mittel, die Wahrheit über die rechtlich relevanten Umstände zu ergründen hat.
Das Beweisverfahren ist abzuschließen, wenn alle erkennbar zur Verfügung stehenden, sofort oder mit abschätzbarer Verzögerung aufnehmbaren Beweismittel über den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt aufgenommen sind.

Vertagung der Hauptverhandlung - Ausscheidung von Teilen des Verfahrens
Wenn das Gericht (Senatsentscheidung!) „noch neue Erhebungen oder Untersuchungshandlungen oder die Herbeischaffung neuer Beweismittel anzuordnen findet oder wenn sich wegen äußerer Hindernisse eine zeitweilige Aufschiebung der Verhandlung als notwendig oder zweckmäßig darstellt", kommt es zur Vertagung der HV[18] (§ 276 StPO) auf bestimmte Zeit (das Datum der neuen HV wird sogleich bekannt gegeben) oder auf unbestimmte Zeit. Das Gericht trifft dann die Vorkehrungen, damit in der vertagten HV die noch ausstehenden Beweise aufgenommen werden können. In der vertagten HV kann der / die Vorsitzende die wesentlichen Ergebnisse der früheren Verhandlung nach dem HV-Protokoll und nach den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die HV daran anknüpfen, sofern kein Richterwechsel stattgefunden hat oder seit der Vertagung nicht mehr als ein Monat verstrichen ist und die Parteien mit dieser Vorgangsweise einverstanden sind (§ 276a StPO). Andernfalls ist die HV neu durchzuführen, wobei natürlich die Verlesung der bisher in der HV gemachten Aussagen mit Zustimmung beider Parteien (§ 252, Abs. 1, Ziffer 4 StPO) zulässig ist. Diese Vorgangsweise mag bei gleichbleibender Zusammensetzung des Gerichtes, also bei Neudurchführung wegen Fristablaufes unbedenklich sein, ist jedoch im Falle eines Richterwechsels, als dem Grundsatz der Unmittelbarkeit widersprechend, entschieden abzulehnen.
Wenn das Beweisverfahren bei Vorliegen mehrerer Anklagepunkte oder bei Verfahrensführung gegen mehrere Angeklagte hinsichtlich eines Teils der unter Anklage gestellten Sachverhalte oder hinsichtlich einzelner Angeklagter abgeschlossen werden kann, jedoch hinsichtlich weiterer Sachverhalte oder Angeklagter noch (unter Vertagung der HV) fortgesetzt werden muss, so kann der Senat - unter der Voraussetzung, dass dies auf die rechtliche Beurteilung der Tat(en) keinen Einfluss hat - mit
Ausscheidung des noch nicht spruchreifen Verfahrens gem. § 57, Abs. 1 StPO zur Vermeidung von Erschwerungen oder Verzögerungen sowie zur Verkürzung der Untersuchungshaft von Angeklagten vorgehen. Der Beschluss ist im HV-Protokoll zu beurkunden.

Schluss des Beweisverfahrens und Schlussvorträge
Nach dem Schluss des Beweisverfahrens erteilt der / die Vorsitzende den Parteien das Wort zu den Schlussvorträgen. Der Ankläger / die Anklägerin ist zuerst am Wort, gefolgt von einem / einer allenfalls vorhandenen Privatbeteiligten. Das Schlusswort steht dem / der Angeklagten und seinem / ihrem Verteidiger bzw. seiner / ihrer Verteidgerin zu. Wenn sich der Ankläger zu einer Replik auf die Ausführungen des Angeklagten oder des Verteidigers entschließt, steht dem / der Angeklagten und seinem / ihrem Verteidiger bzw. seiner / ihrer Verteidigerin auch hierauf eine Erwiderung zu, so dass dem / der Angeklagten auf jeden Fall das letzte Wort gewahrt bleibt. Für die Schlussvorträge besteht kein zeitliches Limit. Im HV-Protokoll wird nur die Tatsache vermerkt, dass die Schlussvorträge gehalten wurden und welche Entscheidung die Parteien begehrten. Besteht ein Forschungsinteresse am Inhalt von Schlussvorträgen, so kann man versuchen, den Inhalt aus dem, was das Urteil dazu ausführt, oder aus der - allerdings meist auch nur kursorischen - Wiedergabe in Presseberichten zu erschließen.
Da Beweisanträge ja während der ganzen Dauer der HV gestellt werden können, sind auch
in den Schlussvorträgen gestellte Beweisanträge beachtlich. Es muss über solche Anträge vom Senat entschieden werde. Wird einem solchen Antrag stattgegeben, oder findet der Senat sich im Hinblick auf das Vorbringen in den Schlussvorträgen veranlasst, von Amts wegen Beweise aufzunehmen, so erfolgt die Wiedereröffnung des Beweisverfahrens, meist verbunden mit einer Vertagung der HV. Derartige Vorkommnisse sind allerdings äußerst selten und entsprechen keinesfalls der Normalität.

Besonderheiten der einzelnen Verfahrensarten
Bei einem normalen Ablauf der HV folgt auf die Schlussvorträge die Urteilsberatung, die im Schöffenprozess ganz anders abläuft wie im Geschwornenverfahren. Hier sollen nun die schon bis dahin gegebenen Unterschiede in der Zusammensetzung der Gerichte und in den Verfahrensabläufen kurz erörtert werden.

Das Verfahren vor den Volksgerichten[19]
Die Volksgerichte übten ihre Tätigkeit in Versammlungen von zwei Berufsrichtern (von denen einer den Vorsitz führte) und drei SchöffInnen unter Beiziehung eines Protokollführers / einer Protokollführerin aus (§ 24 VG.) In einem „normalen" Schöffensenat (zwei BerufsrichterInnen und zwei SchöffInnen) können die BerufsrichterInnen gegen die LaienrichterInnen keinen Schuldspruch, wohl aber einen Freispruch durchsetzen. In den VG-Senaten konnten die Berufsrichter auch einen Freispruch nicht erzwingen. Die Besetzung der Volksgerichte brachte gegenüber den vorhandenen Berufsrichtern ein deutliches Misstrauen zum Ausdruck, was deren Bereitschaft zur Ahndung von NS-Verbrechen anlangt.
Den Volksgerichten war die Verhandlung und Entscheidung in jenen Fällen übertragen, in welchen es um die Ahndung von Verbrechen nach dem Verbotsgesetz (§§ 24 VG, § 1. Abs. 1 VGVG), von Verbrechen nach dem Kriegsverbrechergesetz (§§ 13 Abs. 1 KVG, 1. Abs. 1 VGVG) und von Verbrechen nach den allgemeinen Strafgesetzen, sofern sie mit der Todesstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren bedroht waren und vom Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen begangen wurden, die im Interesse der NS-Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Gesinnung ergangen sind (§§ 13. Abs.2 KVG, 1.Abs.1 VGVG).
Im Hinblick auf den Verfahrenszweck, für rasche und abschreckende Ahndung von NS-Verbrechen zu sorgen, wurden alle nach der StPO dem / der Beschuldigten/Angeklagten zustehenden Rechtsmittel im VG-Verfahren ausgeschlossen. Es gab daher keinen Einspruch gegen die Anklageschrift, keine Beschwerde gegen Beschlüsse des Volksgerichtes und keine Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des Volksgerichtes. (§24. Abs.2 VG)
Das grundsätzliche Fehlen von Rechtsmittelmöglichkeiten führte in der HV zu mitunter sehr kursorischen Verfahrensabläufen, zu mangelnder Beachtung von Vorschriften, welche eine erschöpfende Erörterung des Sachverhaltes sicherstellen sollten, und zu schlampigen, teilweise der Aktenlage widersprechenden Begründungen von Urteilen.
Der Gesetzgeber reagierte darauf zwar mit dem Überprüfungsgesetz, doch erwuchs daraus weder für den öffentlichen Ankläger / die öffentliche Anklägerin noch für die Angeklagten ein Recht auf Überprüfung
[20] der Verfahrensführung und des Verfahrensergebnisses. Eine Untersuchung der Überprüfungspraxis des OGH ist noch ausständig und wäre ein lohnendes Thema zeitgeschichtlicher oder rechtshistorischer Forschung.

Schwurgerichte
Bei den Schwurgerichten handelte es sich um eine Schöpfung der Regierungsgesetzgebung des Jahres 1934, konkret durch das Bundesgesetz vom 19. Juni 1934 über die Wiedereinführung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren und die Umgestaltung der Geschwornengerichte (Strafrechtsänderungsgesetz 1934) - BGBl. II 77/1934. Es sollte die mit zu vielen politischen Risken behaftete Geschwornengerichtsbarkeit mit ihrer Zuständigkeit für die Ahndung von „politischen" Delikten und besonders schwerer Verbrechen durch die leichter kontrollierbare Schöffengerichtsbarkeit abgelöst werden. Dies geschah durch Einführung des neuen Gerichtstyps, durch Änderung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit (Ersatz der Geschwornengerichte durch die Schwurgerichte) und durch Aufhebung der Bestimmungen über das Verfahren vor den Geschwornengerichten.
Im Hinblick auf die
Besetzung der Schwurgerichte, welche ihre Tätigkeit in Versammlungen von drei Berufsrichtern und drei SchöffInnen ausübten, war - wie im Verfahren vor den Schöffengerichten - dafür Sorge getragen, dass die Laien gegen die Ansicht der Berufsrichter zwar einen Freispruch, nicht aber einen Schuldspruch durchsetzen konnten.
Für das Verfahren vor den Schwurgerichten galten die Bestimmungen über das schöffengerichtliche Verfahren.
Da 1945 die StPO nach dem Stand der Gesetzgebung vom 13. 3. 1938 wiederverlautbart wurde, blieben die Schwurgerichte zunächst noch bis Ende 1950 bestehen.

Geschwornengerichte
Geschwornengerichte, die sich aus dem Schwurgerichtshof, bestehend aus drei BerufsrichterInnen (von denen einer / eine den Vorsitz führt) und der Geschworenenbank mit acht LaienrichterInnen zusammensetzten (§ 300. Abs. 1 StPO), gab es nach 1945 erst wieder mit dem In-Kraft-Treten des Geschwornengerichtsgesetzes (BGBl. 240/1950) am 1. Jänner 1951.
Die Geschwornengerichtsbarkeit ist im XIX. Hauptstück (§§ 297 bis 351) der StPO geregelt. Die Leitung der HV - deren Ablauf sich grundsätzlich nach den für die HV vor dem Schöffengericht (XVIII. Hauptstück der StPO) geltenden Bestimmungen richtet - obliegt dem Schwurgerichtshof und dessen / deren Vorsitzenden. Die Geschwornen sind - zum Unterschied von den SchöffInnen - an der Prozessleitung nicht beteiligt; sie entscheiden jedoch a l l e i n e über die Schuldfrage an Hand eines vom Schwurgerichtshof gegen Ende der HV, nach Schluss des Beweisverfahrens zu beschließenden Fragenkataloges und auf Grund der ihnen vom Vorsitzenden / von der Vorsitzenden in Gegenwart des Schwurgerichtshofes mündlich zu erteilenden und schriftlich zu übergebenden Rechtsbelehrung.
Auf den Gang der Verhandlung wirken sich diese Besonderheiten wie folgt aus:
Der / die Vorsitzende ist auch außerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsbelehrung der Geschwornen am Beginn ihrer Urteilsberatung verpflichtet, den Geschwornen die zur Ausübung ihres Amtes erforderlichen Anleitungen zu geben und sie nötigenfalls an ihre Pflicht zu erinnern (§ 302, Abs. 2 StPO). Derartige Belehrungen werden nicht schriftlich festgehalten und entziehen sich daher der nachprüfenden Kontrolle.
Die Geschwornen, die ja alleine über Schuld oder Unschuld des / der Angeklagten zu entscheiden haben, sind - zum Unterschied von den SchöffInnen - von der Prozessleitung ausgeschlossen. Zum Ausgleich steht ihnen (neben dem Fragerecht) aber das Recht zu, Beweisaufnahmen zur Aufklärung von erheblichen Tatsachen, die Gegenüberstellung von ZeugInnen, deren Aussagen von einander abweichen und die nochmalige Vernehmung bereits abgehörter ZeugInnen zu begehren (§ 309. Abs.1 StPO). Über ein solches Begehren entscheidet der Schwurgerichtshof (§ 309. Abs.2 StPO).
Nach
Schluss des Beweisverfahrens folgen nicht sofort die Schlussvorträge der Parteien. Es sind vielmehr die schriftlich abgefassten Fragen vorzulesen und in je einer Ausfertigung an VerteidigerIn und AnklägerIn zu übergeben. Die Parteien sind nun berechtigt, einen Antrag auf Änderung oder Ergänzung der Fragen zu stellen, worüber der Schwurgerichtshof zu entscheiden hätte. (Eine Stattgebung hätte zur Folge, dass die Fragen erneut schriftlich abgefasst und verlesen werden müssten.) Anschließend übergibt der / die Vorsitzende den Geschwornen mindestens zwei Ausfertigungen der Fragen.
Nach der Verlesung der Fragen halten die Parteien ihre Schlussvorträge, und zwar in der Reihenfolge, wie sie auch für das Schöffenverfahren vorgesehen ist.

Die Urteilsberatung, die Ausführungen über Inhalt und Aufbau der Urteile vor allem auch die mit der Urteilsschöpfung zusammenhängenden Fragen (Grundsatz der freien Beweiswürdigung!) sollen in der nächsten Folge behandelt werden.


Anmerkungen

[Anm. 1]
Bertel will auch die zwischen einer vertagten HV und der neuerlichen HV liegenden Verfahrensteile so bezeichnet wissen, doch folgt ihm hier die Praxis nicht. (Christian Bertel, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts, 3. Aufl., Wien 1997, S. 150)

[Anm. 2]
Von dieser n a c h R e c h t s k r a f t der Anklage stattfindenden Vervollständigung der VU gem. § 224 Abs. 1 StPO sind zwei ähnliche Vorgänge strikt zu unterscheiden und zwar die Ergänzung der VU gem. § 112 Abs. 3 StPO, welche v o r E i n b r i n g u n g der Anklage beantragt werden kann, und die auf § 276 StPO gestützte Rückleitung des Aktes an den UR nach Beginn der HV. Die Ergänzung der VU erfolgt auf Beschluss des / der Vorsitzenden der HV, die Rückleitung an den UR wird vom Senat beschlossen.

[Anm. 3]
Vorbereitungsfrist ist jener Zeitraum, der dem / der Angeklagten zwischen Zustellung der Vorladung zur HV und dem Beginn der HV mindestens bleiben muss. Die Vorbereitungsfristen sind je nach Verfahrensart unterschiedlich geregelt. Die Nichteinhaltung dieser Mindestfristen macht das Verfahren nichtig. Eine Verkürzung dieser Fristen ist jedoch mit Zustimmung des / der Angeklagten zulässig. (§ 220, Abs.1 StPO)

[Anm. 4]
ZeugInnen und Sachverständige sind in der Regel so zu laden (§ 221, Abs. 1, letzter Satz StPO), dass zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der HV eine Frist von drei Tagen liegt.

[Anm. 5]
Nur bei ausgewiesener vorschriftsmäßiger Zustellung kann das Gericht über ZeugInnen und Sachverständige die für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens in § 242 StPO vorgesehenen Folgen (Verhängung einer Ordnungsstrafe, Auferlegung der Kosten der durch das Nichterscheinen vereitelten Sitzung, Anordnung der Vorführung zur vertagten HV) eintreten lassen Die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens des / der Angeklagten werden weiter unten behandelt.

[Anm. 6]
Den Vorsitz führt immer, d. h. in allen Verfahrensarten ein Berufsrichter / eine Berufsrichterin.

[Anm. 7]
Das Schöffengericht übt seine Tätigkeit als Senat, bestehend aus zwei BerufsrichterInnen, von denen einer / eine den Vorsitz führt, und zwei LaienrichterInnen (SchöffInnen), aus. Die SchöffInnen stimmen bei allen Senatsentscheidungen, also auch bei solchen, die den Gang der Verhandlung steuern, und nicht nur bei der Urteilsfindung mit.

[Anm. 8]
Dies bestimmt für das volksgerichtliche Verfahren der zweite Absatz des § 24 VG, für das Geschwornengericht der § 302 Abs. 1 StPO. Das Schwurgericht schließlich war bereits vom Gesetz (§ 13 Abs. 2 StPO in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes 1934 - BGBl. 1934/77) als erweiterter Schöffensenat (drei BerufsrichterInnen und zwei SchöffInnen) konzipiert.

[Anm. 9]
Es wird damit quasi als Nebeneffekt auch das Verfahren vor dem Schöffengericht beschrieben.

[Anm. 10]
Die zeitweilige Entfernung eines / einer Angeklagten gemäß § 250, Abs. 1 StPO, auf Anordnung des / der Vorsitzenden ist während der Vernehmung von Mitangeklagten oder einzelner ZeugInnen zulässig. Diese zeitweilige Entfernung des / der Angeklagten ist eine im Interesse der Wahrheitsfindung anzuordnende Maßnahme. Der / die Angeklagte ist nach seiner Wiedereinführung in den Verhandlungssaal und seiner Vernehmung zu dem in seiner / ihrer Abwesenheit verhandelten Gegenstand, über die in seiner Abwesenheit gemachten Aussagen in Kenntnis zu setzen ist. Das Unterbleiben einer solchen Mitteilung ist mit Nichtigkeit bedroht. (§ 250, Abs. 2 StPO)
Die disziplinäre Entfernung des / der Angeklagten aus der HV (§ 234 StPO) durch Senatsbeschluss
kann erfolgen, wenn der / die Angeklagte die Ordnung der Verhandlung durch ungeziemendes Benehmen stört und davon trotz der Ermahnung durch den Vorsitzenden / die Vorsitzende und Androhung des Ausschlusses von der HV nicht absteht. Dieser Ausschluss von der Teilnahme an der HV kann für eine bestimmte Zeit oder auch für die ganze Dauer der Verhandlung ausgesprochen werden. Der / die Angeklagte ist über das in seiner / ihrer Abwesenheit Verhandelte n i c h t zu informieren. Das Urteil wird, im Falle der Entfernung für die ganze Dauer der HV, dem / der Angeklagten von einem Mitglied des Senates in Gegenwart des Schriftführers / der Schriftführerin verkündet.
Eine
Verhandlung in Abwesenheit des / der Angeklagten, also die Durchführung der gesamten Verhandlung ohne den Angeklagten / die Angeklagte, ist gem. § 427, Abs. 1 StPO, nur dann zulässig, wenn dem / der Angeklagten ein mit höchstens fünfjähriger Freiheitsstrafe bedrohtes Delikt angelastet wird, der / die Angeklagte bereits im Vorverfahren gerichtlich vernommen wurde und ihm / ihr die Vorladung zur HV noch persönlich zugestellt wurde. Eine solche Entscheidung fällt in die Zuständigkeit des Senates.

[Anm. 11]
Der im § 241 StPO vorgesehene vorangehende Aufruf aller vorgeladenen ZeugInnen und Sachverständigen durch den Vorsitzenden / die Vorsitzende, die gemeinsame Eideserinnerung und die Erteilung der Anweisung, in einem bestimmten Raum des Gerichtsgebäudes auf die Vernehmung zu warten, fand und findet in der Praxis nie statt, da die ZeugInnen „gestaffelt“, d. h. zu unterschiedlichen Zeiten, geladen werden und Sachverständige häufig der ganzen Verhandlung beiwohnen.

[Anm. 12]
Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987 (BGBl 1987/605) ist an die Stelle der Verlesung der Anklageschrift (welche im Allgemeinen vom Schriftführer / von der Schriftführerin, bei längeren Anklageschriften aber auch vom Vorsitzenden / von der Vorsitzenden und/oder von beisitzenden RichterInnen vorgenommen wurde) der mündliche Vortrag der Anklage durch den öffentlichen Ankläger / die öffentliche Anklägerin getreten.

[Anm. 13]
In der Praxis wird von den Angeklagten nur selten eine zusammenhängende Darstellung des Sachverhaltes gegeben. Die Darstellung - auch wenn sie zusammenhängend protokolliert wird - ist in der Regel das Ergebnis der Befragung durch den Vorsitzenden. Häufig wird auch - was zulässig ist - nur auf die in der VU gemachten Angaben, allenfalls unter Ergänzung derselben, verwiesen. Im HV-Protokoll liest sich das dann etwa wie folgt: „Der Angeklagte bekennt sich nicht für schuldig, verantwortet sich wie vor dem UR, ON ... und ergänzt über Befragen: ...“

[Anm. 14]
Meist erscheint im HV-Protokoll der Passus: „ Auf Vorhalt der (anderslautenden Angaben) AS ...“ Diese Formulierung stellt dann auch gleichzeitig die Beurkundung der Verlesung dieser anderslautenden Angaben dar.

[Anm. 15]
Solche unbeantwortet gebliebenen Fragen werden in der Regel ausführlich in direkter oder indirekter Rede ebenso wie die Tatsache der Antwortverweigerung im Protokoll festgehalten.

[Anm. 16]
Wenn etwa die Gegenüberstellung eines / einer von der StA. geführten Zeugen / Zeugin mit einem / einer von der Verteidigung namhaft gemachten Zeugen / Zeugin für erforderlich gehalten wird, empfiehlt es sich, diesen Zeugen / diese Zeugin der Verteidigung unmittelbar nach dem / der von der StA geführten Zeugen / Zeugin zu vernehmen und erst hernach die weiteren ZeugInnen des Anklägers zu befragen.

[Anm. 17]
In jenen Fällen, in denen mehrere Fakten unter Anklage gestellt werden, ist es durchaus üblich, die zu den einzelnen Fakten geführten ZeugInnen jeweils zusammenhängend zu befragen.

[Anm. 18]
Von der Vertagung ist die Unterbrechung der HV zu unterscheiden. Die Unterbrechung kann zur raschen Herbeischaffung von bekannten Beweismitteln sowie zur Schaffung der notwendigen Erholung von Gericht und Parteien dienen. Sie kann bis zu mehreren Tagen dauern und kann spontan beschlossen oder (bei der Anberaumung mehrtägiger Verhandlungen) bereits in der Ausschreibung der HV fixiert sein. Wesentlich ist, dass nach der Unterbrechung, bei Wiederaufnahme der Verhandlung, nicht die für die vertagte HV vorgeschriebene Verfahrenswiederholung bzw. Neudurchführung vorgeschrieben ist.

[Anm. 19]
Volksgerichte wurden durch Art. V. (§§ 24 - 26) des „Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz) - StGBl. Nr. 13/1945 eingerichtet. Das Verfahren vor den Volksgerichten wurde - über die Vorschriften der §§ 24 - 26 VG hinaus - durch das „Verfassungsgesetz vom 19. September 1945 über das Verfahren vor dem Volksgericht und den Verfall des Vermögens (Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz)“ - StGBl. Nr. 177/1945 und schließlich noch durch das „Verfassungsgesetz vom 30. November 1945 über das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Volksgerichtsachen (Überprüfungsgesetz)“ - BGBl. 4/1946 geregelt. Nach Änderungen und Ergänzungen, welche das Gesetz im VI. Hauptstück des Nationalsozialistengesetzes vom 6. Februar 1947 - BGBl. 25/1947 („Volksgerichts- und Vermögensverfallsgesetznovelle“) und durch das „Bundesverfassungsgesetz vom 26. Februar 1947, womit das Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz abgeändert wird“ - BGBl. 67/1947 - erfuhr, wurde es über VO der Bundesregierung vom 23. Juli 1947 - BGBl. 213/1947 - als „Volksgerichts- und Vermögensverfallsgesetz 1947“ am 25. September 1947 wiederverlautbart.

[Anm. 20]
Die Anordnung der Prüfung erfolgte durch den Präsidenten des OGH. Wie der Fall an den Präsidenten des OGH herangetragen werden sollte, war im Gesetz nicht geregelt. Die Überprüfung des Verfahrens fand durch einen Senat aus drei Mitgliedern des OGH statt. Ergaben sich dabei e r h e b l i c h e Bedenken gegen die Verfahrensführung oder das Urteil, wurde das Urteil aufgehoben und die Sache an das Volksgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, ansonsten wurde die Unbedenklichkeit in einer begründeten Entscheidung festgesellt.




Teil 1
Teil 2
Teil 3



Heinrich Gallhuber
erschienen in "Justiz und Erinnerung"
Nr. 5