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Kriegsverbrechergesetz (KVG)


§ 1 - § 2 - § 3 - § 4 - § 5 - § 5a - § 6 - § 7 - § 8 - § 9 - § 9a - § 10 - § 11 - § 12 - § 13

"Nur jene, welche aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttätigkeit, des Spitzeltums, der Verfolgung und Unterdrückung über unserem Volke aufgerichtet und erhalten, welche das Land in diesen abenteuerlichen Krieg gestürzt und es der Verwüstung preisgegeben haben und noch weiter preisgeben wollen, sollen auf keine Milde rechnen können. Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden, das sie selbst den anderen aufgezwungen haben und jetzt auch für sich selbst für gut befinden sollen."


Ein Ausnahmegesetz zur effizienten Ahndung von Ausnahmekriminalität

Beim Kriegsverbrechergesetz (KVG) handelt es sich, wie aus obigem Zitat hervorgeht, um ein (rückwirkendes) Ausnahmegesetz. Ausnahmegesetzgebung und Erlassung rückwirkender strafrechtlicher Normen wurden von einigen zeitgenössischen Juristen als Sünde wider den Geist der Rechtsstaatlichkeit gebrandmarkt , von anderen hingegen als gerechtfertigt verteidigt. Vom Standpunkt der geltenden Gesetzeslage, wie sie zum Zeitpunkt der Schaffung des KVG bestand (de lege lata), waren die Gegner dieses Gesetzes eindeutig im Unrecht, denn es gab zum Zeitpunkt der Entstehung des KVG und während der ganzen Zeit seiner Geltung keine gleich oder höherrangige Rechtsnorm, welche die Möglichkeit der Erlassung rückwirkender Strafbestimmungen verboten oder auch nur eingeschränkt hätte. Rechtstheoretisch war die Erlassung rückwirkender Strafbestimmungen möglich, denn "... es kann eine Rechtsnorm, die an die Bedingung eines bestimmten Verhaltens einen Zwangsakt als Sanktion knüpft, bestimmen, daß ein Mensch, der nicht n a c h, sondern v o r Setzung der Rechtsnorm ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt hat, bestraft werden soll; wodurch das Verhalten als Delikt qualifiziert wird."

Von dieser rechtstheoretischen Seite der Angelegenheit ist die (rechts)ethische Dimension zu trennen. Hier lautet die Frage: War es moralisch gerechtfertigt, bestimmte (wenn auch eklatant sozialschädliche) Verhaltensweisen r ü c k w i r k e n d strafbar zu stellen. Ausgangspunkt für die Lösung dieser Frage ist die Betrachtung des Grundes für die Forderung nach einem Schutz vor solchen rückwirkenden Bestimmungen: Die im berechtigten Vertrauen auf eine bestehende Rechtslage Handelnden sollen in diesem Vertrauen geschützt werden. Von einem solchen berechtigten Vertrauen kann jedoch im Hinblick auf das von der NSGewaltherrschaft entworfene Rechtssystem, welches kriminelles Verhalten anordnete, ausdrücklich begünstigte oder zumindest stillschweigend deckte, nicht ausgegangen werden. Angesichts der Natur der vom NS-Staat ermöglichten oder angeordneten Taten hatten die Täter keinen Grund, darauf zu bauen, ihr Handeln würde auch außerhalb der damals bestehenden Unrechtsordnung und für alle Zeiten sanktionslos bleiben. Der Erlassung rückwirkender Strafbestimmungen zur Erfassung solcher Taten stand daher kein schützenwertes "Rechtsvertrauen" der Täter entgegen. Mehr noch: Es war moralisch dringend geboten, jenen Tätern, die unter dem Schutz eines insgesamt kriminellen Machtapparates Übeltaten begangen hatten, diesen Schutz im Interesse einer gerechten Sühne rückwirkend zu entziehen.

Ähnliche Überlegungen wie für die Rückwirkung gelten auch für den beschrittenen Weg der Ausnahmegesetzgebung. Die Notwendigkeit, eine durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geschaffene Ausnahmesituation und die fortwirkenden Folgen dieser Ausnahmesituation möglichst schnell, umfassend und nachhaltig zu beseitigen, rechtfertigte jedoch eine derart außergewöhnliche legistische Maßnahme. Viele gerade der schrecklichsten Untaten der NSZeit waren mit den Bestimmungen des geltenden Strafgesetzes nur schwer wirksam zu erfassen. Schließlich lag dem StG ein Verbrechensbegriff zu Grunde, der sich von der "Kriminalität der Mächtigen" deutlich unterschied. Ein Blick auf die justizielle Aufarbeitung der NSVerbrechen in Deutschland, welche mit den Bestimmungen des StGB auskommen mußte, zeigt, welch bedeutendes Instrument der österreichischen Justiz im KVG zur Verfügung stand. In Verbindung mit der Zuständigkeit der Volksgerichte zur Aburteilung der Kriegsverbrechen hat sich dieses Gesetz als außerordentlich wirksames Instrument zur Ahndung der im Gesetz normierten Verbrechenstatbestände erwiesen.
Da bei Schaffung dieser Bestimmungen die Besorgnis bestand, die Regelung könnte in einzelnen Details mit der wiederhergestellten österreichischen Verfassungslage (entsprechend dem Stand vor 1934) in Widerspruch stehen, wurde das KVG so wie auch das Verbotsgesetz (VG) von der Provisorischen Staatsregierung als Verfassungsgesetz beschlossen: Solcherart war sichergestellt, daß die Ausnahmebestimmungen des KVG sowohl als besonderes Gesetz (lex specialis) als auch als zeitlich später erlassenes Gesetz (lex posterior) den früheren Verfassungsbestimmungen vorgingen.

Entstehung und Fortentwicklung des Gesetzes

Die erste Fassung wurde von der Provisorischen Staatsregierung am 26. Juni 1945 als "Verfassungsgesetz ... über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz)" StGBl. Nr. 32/1945 beschlossen. Das Gesetz trat am 29. Juni 1945 in Kraft. Diese erste Fassung kannte die Tatbestände Kriegsverbrechen (§ 1), Kriegshetzerei (§ 2) , Quälereien und Mißhandlungen (§ 3), Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde (§ 4), mißbräuchliche Bereicherung (§ 6), Denunziation (§ 7) und Hochverrat am österreichischen Volk (§ 8). Bereits am 18. Oktober 1945 beschloß die Provisorische Staatsregierung im "Verfassungsgesetz ..., betreffend eine Ergänzung des Kriegsverbrechergesetzes (Kriegsverbrechergesetznovelle)" StGBl. Nr. 199/1945 die Einfügung einer Bestimmung (§ 5a) betreffend den Tatbestand "Vertreibung aus der Heimat". Diese Bestimmung trat am 27. Oktober 1945 in Kraft. Für die Ahndung der angeführten Verbrechenstatbestände wurde die Zuständigkeit der Volksgerichte begründet.

Zufolge alliierter Auflage mußten alle von der Provisorischen Staatsregierung erlassenen Gesetze der neu gewählten Volksvertretung zum (Neu)Beschluß vorgelegt werden. Diese Beschlußfassung, die an sich ja bereits 1946 möglich gewesen wäre, zog sich aus den verschiedensten Gründen längere Zeit hin. Letztlich wurden dann nicht nur die Bestimmungen des KVG, sondern auch des VG und anderer Nationalsozialisten betreffender Vorschriften unter teilweiser Veränderung der ursprünglichen Gesetzestexte im "Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten (Nationalsozialistengesetz)" BGBl. Nr. 25/1947, zusammengefaßt: "kodifiziert". Die damit gegebene letztgültige Fassung des KVG wurde mit der "Verordnung des Bundesministeriums für Justiz vom 23. Juli 1947 über die Wiederverlautbarung des Verfassungsgesetzes über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz)" kundgemacht.


Das Ende des Engagements gegen die NS-Makrokriminalität

Nicht ganz zwei Jahre nachdem Österreich seine Souveränität wiedererlangt hatte, beschloß der Nationalrat das "Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NSAmnestie 1957)" BGBl. 82/1957: Durch § 13 Absatz 2 dieses Gesetzes wurde das KVG aufgehoben. Eine nach dem KVG strafbare Handlung sollte nur noch insoweit verfolgbar sein, als sie auch unter eine andere strafgesetzliche Vorschrift fiel. Die in einigen Tatbeständen des KVG "enthaltenen" Tatbestände nach dem StG waren aber wegen der besonderen Umstände ihrer Begehung meist wesentlich schwerer nachzuweisen, als die Delikte des KVG. Dies galt insbesondere für die "innere Tatseite".
In der Folge kam es daher immer häufiger zu ungerechtfertigten Freisprüchen von Tätern, die während der NSHerrschaft Gewaltverbrechen begangen hatten.


Die einzelnen Bestimmungen des KVG:


§ 1
§ 2
§ 3
§ 4
§ 5
§ 5a
§ 6
§ 7
§ 8
§ 9
§ 9a
§ 10
§ 11
§ 12
§ 13


KVG Teil 1
KVG Teil 2
KVG Teil 3
KVG Teil 4
KVG Teil 5


Vorbemerkung zum Beitrag von Heinrich Gallhuber und Eva Holpfer
in "Rundbrief" (="Justiz und Erinnerung") Nr. 1, Juni 1999